„Michael ist so unfassbar spießig geworden!“, damit schließt meine Freundin ihren Urlaubsbericht. Ich hatte mich auf Geschichten vom Strand, von Sonne und exotischen Abenteuern gefreut und bekommen hatte ich unendliche Tiraden darüber, wann Michael was wie falsch gemacht und damit meine Freundin zur Weißglut gebracht hat. Ob Sies mir glauben oder nicht, aber immer wieder beobachte ich, dass Paare, die im Alltag glücklich wirken, plötzlich wenn sie auf engem Raum viel Zeit miteinander verbringen, direkt aneinandergeraten. Kleinigkeiten, die unter der Oberfläche gebrodelt hatten, kochen dann über und der Vulkan bricht aus. Da wundert es nicht, dass 13 % der Befragten zu Beginn des Lockdowns angaben, dass die Aussicht auf viel Zeit mit dem Partner durch die Kontaktbeschränkungen ihnen Angst macht.[i]
Was also die schönste Zeit im Jahr sein soll, die Wochen, in denen man sich einfach mal fallen lassen kann, wird plötzlich zum Brennpunkt. Ein Hotelzimmer, eine Ferienwohnung, ein gemeinsamer Urlaubsplan und das große Übel: Viel Zeit miteinander ohne Ausweichmöglichkeit. Und da sitzt man dann und stellt sich die Frage: Vielleicht hätten wir lieber eine Paartherapie statt eines Urlaubs machen sollen, oder besser: Zuerst eine Therapie und dann den Urlaub?
Und was bleibt mir zu einer solchen Überlegung zu sagen? Ja, das ist eine gute Idee! Wenn sie zusammenbleiben und sich nicht trennen möchten.
Paartherapie klingt nicht wie Urlaubsvergnügen, das gebe ich zu, aber wichtig ist ja auch nicht der Klang, sondern der Nutzen. Paartherapie hilft den Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Ist nicht ein Beziehungswochenende vor dem ersehnten langen Urlaub die viel bessere Lösung als unendlicher Frust an einem der schönsten Orte der Welt? Wer würde denn nicht lieber der besten Freundin von abenteuerlustigen, glücklichen und außergewöhnlichen Zeiten am Strand, in Höhlen oder auf Bergen erzählen, als davon, dass der Mann einfach immer recht haben musste. Ich gebe zu, ich will es ja auch.
„Ja aber“, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen, „was, wenn die Paartherapie alle unsere Probleme überhaupt erst aufwirbelt, und dann fahren wir mit einem riesigen Haufen Konfliktpotenzial in den Urlaub. Wäre es da nicht besser, die kleineren Probleme unter den Teppich zu kehren?“ Nein! Denn das schlichte ignorieren von Problemen führt nicht dazu, dass diese sich von selbst auflösen. Im Gegenteil: Genau das ist die Ursache, wenn alle Kleinigkeiten zu einer Lawine werden, die dann im Urlaub losgetreten wird und all die schöne Zeit, die der Entspannung dienen sollte, unter sich begräbt.
So ähnlich hat es sich auch mit Corona verhalten. Ehen, die in den letzten eineinhalb Jahren in eine Krise geraten sind, waren auch vorher möglicherweise schon stark belastet und dann ist den Menschen durch die Pandemie in ihren eigenen Häusern bewusst geworden: Das ertrag ich nicht mehr. Und ehrlich gesagt: Ja, ich würde auch nicht zu bloß einer Therapiestunde zu Beginn des Urlaubs raten. Wenn sie mit einer Paartherapie eine echte Wende in ihrer Beziehung schaffen wollen, umso die Möglichkeit zu haben, sich neu zu begegnen, dann ist das nicht in einer Stunde getan. Das kann sich sogar kontraproduktiv auswirken. Stellen Sie sich vor, Sie fangen gerade an, sich zu öffnen und sich an die Situation der Paartherapie zu gewöhnen und möglicherweise ist ein Konflikt angeschnitten und dann: Ein kurzer Blick auf die Uhr! Die Stunde ist um! Auf Wiedersehen! Schönen Urlaub!
Wenn sie beide ehrlich bereit zu einer Therapie vor ihrem Urlaub sind, ist die Wahrscheinlichkeit enorm, dass sie Erfolg haben wird.[ii] Daher ein Tipp, der von Herzen kommt: Sehen Sie die Möglichkeit auf einen wirklich schönen, spannenden und erholsamen Urlaub als Chance und klären sie davor in einem Beziehungswochenende all ihre Differenzen, sodass sie die Möglichkeit haben, ihre freie Zeit in Nähe und Glück zu verbringen. Das kostet sie nur ein Wochenende, aber dafür nicht den Urlaub.
Und nach einer Paartherapie? Fahren sie zu zweit weg, nicht mit ihren Freunden oder Schwiegereltern! Verbannen sie die Ablenkungen und gehen sie voll und ganz aufeinander ein, sodass sie ihr neues echtes Verständnis füreinander vertiefen, anstatt sich über die Kleinigkeiten aufzuregen. Und damit tun sie auch was für ihre Freunde: Die freuen sich bestimmt über schöne Urlaubsgeschichten!
Ich wünsche Ihnen, dass sie magische Urlaube miteinander verbringen.
Ihre Sandra Hornsteiner
[i] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1120374/umfrage/umfrage-unter-paaren-zu-groessten-herausforderungen-waehrend-der-corona-pandemie/
[ii] https://www.marktforschung.de/aktuelles/marktforschung/paartherapie-erfolgversprechend-wenn-beide-partner-sie-wollen/