Mann mit Alkoholflasche steht vor weinender Frau

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Darüber spricht man nicht – Kann ein Alkoholiker lieben?

Brennende Fragen von Unternehmerpaaren:

Anna schluchzt. Die Tränen fließen ihr in Sturzbächen aus den Augen, während sie mir gegenübersitzt und erzählt, wie stark ihre Beziehung sich zum Negativen verändert hat, seit ihr Mann Ralf immer mehr Alkohol trinkt. Sie weiß weder ein noch aus. Während ich ihre Fragen beantworte, wird mir klar, dass ich diese Antworten auf Annas brennende Fragen auch mit euch teilen möchte, mit dem Hinweis darauf, dass nicht nur Männer die Alkoholiker in einer Beziehung sein können. Auch im Hinblick auf unsere Spezialisierung möchte ich anmerken, dass Managerinnen oder Frauen in Führungspositionen einer Studie zufolge die gefährdetste Berufsgruppe unter Frauen hinsichtlich Alkoholismus sind. [1]

Ralf trinkt immer öfter und ich bin total unsicher! Woran erkenne ich denn, dass mein Mann Alkoholiker ist? 

Alkoholismus entwickelt sich meist sehr schleichend und auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Dabei ist das Hauptkennzeichen der Alkohol selbst. Betroffene benötigen ihn, um überhaupt zu funktionieren und sie denken zunächst immer öfter und schließlich von morgens bis abends daran zu trinken. Damit einher geht auch ein Kontrollverlust, ein Aufhören zu Trinken ist nicht mehr möglich und es wird immer mehr Alkohol benötigt, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Besonders belastend für dich und deinen Mann könnten die Entzugssymptome sein, wenn er einmal nicht trinkt und auch dass er immer mehr dich und eure sozialen Kontakte vernachlässigt, da sich alles nur noch um den Alkohol dreht.

Wir haben doch alles im Leben – Aber warum trinkt er denn?

Darauf gibt es leider keine pauschale Antwort. Jeder Alkoholiker, und das sind allein in Deutschland rund 1,6 Millionen[2], ohne die Dunkelziffer, hat ein eigenes Grundthema, warum er sich betäubt. Es fängt damit an, dass Alkohol entspannt, leicht und lustig macht – er bietet eine Flucht aus dem Alltag und den Ängsten oder Themen, die damit betäubt werden. Das kann Stress im Unternehmen sein, oder die tägliche Konfrontation mit Ängsten, dem eigenen erlebten Leid oder dem anderer. Auch wenn eure Beziehung schön ist, kann Ralf sich nach seinem Job als Anwalt, bei dem er täglich mit Konflikten und Negativität zu tun hat, in den Alkohol flüchten. Vom Kopf her ist ihm dabei bewusst, dass seine Gesundheit und auch eure Beziehung darunter leidet, aber die Sucht und das damit verdeckte Thema ist in diesem Moment einfach stärker.

Ja, unsere Beziehung leidet und Ralf kann einfach nicht mehr vom Alkohol lassen. Was bedeutet das für uns – Können Alkoholiker überhaupt lieben? 

Jeder kann lieben! Die einzige Ausnahme bilden Menschen, deren Hirnstamm krankhaft verändert wurde durch einen Unfall oder Schlaganfall. Aber alle anderen haben immer einen Bereich, in dem sie lieben können. Du musst dich aber wegen Ralfs Alkoholismus darauf einstellen, dass er ständig mit seiner Sucht zu kämpfen haben wird. Auch wenn es abstinente Zeiten gibt, ist die Gefahr, dass er rückfällig wird, immer da. Ich rate dir, deine Sorgen offen anzusprechen. Du darfst Dinge thematisieren, die dich belasten. Vermittle Ralf deine Ängste und dass du unter der Situation leidest, – aber bitte sachlich, ohne Druck oder Vorwürfe. Verbinde es stattdessen doch mit positiven Gefühlen, etwa wie wertvoll eure Ehe für dich ist, und dass du ihn nicht an den Alkohol verlieren möchtest.

Wie wirkt sich die Sucht auf unsere Beziehung aus?

Die Beziehung zu einem Alkoholiker kann von einem enormen Auf und Ab geprägt sein. Wenn er trocken ist, kann er dich auf Händen tragen, zuverlässig sein und sich kümmern wie der tollste Mann der Welt. Wenn er aber trinkt, kann er sich, von der Krankheit gesteuert, in einen hinterhältigen Lügner verwandeln, der in einem unbeobachteten Moment zur Flasche greift und den Alkohol überall im Haus, sogar in Klopapierrollen versteckt. Er kann dir dann auch fremd vorkommen, nicht mehr wie der Mann, den du liebst.

Pass in der Beziehung auf dich auf! Betroffene Partnerinnen geraten leicht in eine Co-Abhängigkeit und gehen sogar so weit, dass sie dem Partner Alkohol kaufen, weil sie nicht mit ansehen können, wie er leidet. Dann können die eigenen Gedanken nur um ihn kreisen. Eine Frau hat mir einmal erzählt, wie sie vor lauter Sorge selbst oft vergessen hat zu essen.

Wie soll ich persönlich mit dem Alkoholismus meines Mannes umgehen? 

In gewisser Weise muss jeder, der mit einem alkoholkranken Partner konfrontiert ist, einen eigenen Umgang damit finden. Ich empfehle dir liebe Anna auf dich selbst zu achten und dir immer wieder klarzumachen, dass Ralf suchtkrank ist und auch wenn es schwer ist, Zurückweisungen nicht persönlich zu nehmen. Schütze dich vor einer Co-Abhängigkeit. Oftmals hängt der eine an der Flasche und die andere am Alkoholiker.

Sei Ralf gegenüber offen und vermittle ihm das Gefühl, dass auch er offen mit dir über alles, auch über unangenehme Dinge sprechen kann. Aber: Es ist nicht deine Aufgabe, seine Sucht zu besiegen, das kann er nur selbst. Aber du kannst bei dem schweren Weg an seiner Seite stehen.

Das würde ich gerne, aber was kann uns in dieser Situation helfen? 

Die wichtigste Hilfe ist eine Suchttherapie, am besten eine Stationäre! Hier hat Ralf die Möglichkeit, auch seine Grundthemen anzugehen und nicht heimlich weiter zu trinken. Gegen Ende der Therapie kannst du miteinbezogen werden und ihr könnt in Klarheit gemeinsame Muster entwickeln, ohne die Sucht zu unterstützen. Wichtig ist, dass du Ralf mit viel Klarheit und Wertschätzung begleitest und du ihm zeigst, wie sehr du ihm bei seinem schwierigen Kampf gegen die Sucht beistehst. Anschließend an eine stationäre Therapie ist auch eine Gruppentherapie wie bei den Anonymen Alkoholikern wichtig für die weitere Unterstützung.

Durch die Abstinenz werden sich vielleicht nicht all eure Probleme einfach in Luft auflösen, aber ihr könnt wieder nach vorne blicken. Bemüht euch das bewusst zu tun und nicht wieder alte Probleme, Enttäuschungen und Vorwürfe hervorzuholen. Ihr könnt den Raum, den früher der Alkohol eingenommen hat, nach der Therapie wieder mit neuer, schöner gemeinsamer Zeit füllen. Ein Neubeginn wird von vielen Paaren im Nachhinein als positiv angesehen.[3] Die gemeinsam bewältigte Krise kann die Beziehung stärken und ist Zeichen für eine belastbare und tiefgehende Partnerschaft.

Was, wenn ich das nicht mehr aushalte, an seiner Seite zu bleiben, – ich kann ihn doch nicht verlassen, wenn er doch krank ist?

Kurzum: Ja, Alkoholiker können lieben, sie sind jedoch oft in einer Mühle, aus der sie nur schwer wieder rauskommen können. Unter solchen Bedingungen muss eine Trennung nicht ein „Nein“ zu einem Menschen sein, sondern auch die Absage an die Alkoholsucht und eine Weigerung bei der Selbstzerstörung des Partners zuzusehen.

Ich wünsche Ihnen aus vollem Herzen, dass Sie diesen schwierigen Weg gemeinsam meistern!

Ihre Sandra Hornsteiner

Auf einen Blick:

Anzeichen für Alkoholismus:

1. Starkes Verlangen nach Alkohol2. Kontrollverlust3. Toleranzentwicklung bei Alkohol4. Entzugssymptome5. Vernachlässigung anderer Interessen

Der Umgang mit dem Alkoholismus des Partners:

1. Begreifen Sie die Sucht als das, was sie ist: Eine Krankheit

2. Thematisieren Sie Dinge, die Sie belasten ohne Vorwürfe und Schuld, sondern in Verbindung mit etwas Positivem

3. Wenn möglich: Beginnen einer Therapie des Betroffenen und auch für Co-Abhängige kann es hilfreich sein, sich psychologische Hilfe zu suchen

4. Wertschätzen Sie jede positive Veränderung und signalisieren Sie, dass ihr Partner den Weg nicht allein gehen muss

5. Achten sie auf sich, Ihr Glück und Schützen Sie Ihre Kinder!

[1] https://bmcpublichealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12889-021–10208‑x

[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a‑z/a/alkohol.html
[3] https://www.beratung.help/a/beziehung-alkoholismus
(Bild: Karolina Grabowska)