Mann streckt Kopf in den Sand

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Die positiven Aspekte von Beziehungsproblemen

„Beziehungsprobleme haben auch positive Aspekte? Wirklich? Und welche genau sollen das denn sein?“ Die verblüffte Frage von Klienten ist mir im Laufe meiner Arbeit als Paartherapeutin schon häufiger begegnet. Ihre Antwort ist gleichzeitig auch einer der Gründe, warum ich meinen Beruf liebe. „Ja! Beziehungsprobleme haben zwei Seiten!“ Das habe ich immer wieder erlebt und auch selbst erfahren. Gerne nehme ich sie mit auf die Reise in eine Beziehungswelt, in der zunächst noch Ärger und Frust vorherrschen:

Der Wegfall des Gewohnten

Als mir Dirk das erste Mal am Telefon kurz von seinen Problemen mit Ulrike erzählte, spürte ich einerseits seine tiefe Verzweiflung, andererseits aber auch den tiefen Schock. Ich konnte mir schon anhand seiner Stimme vorstellen, wie er in sich zusammengesunken an seinem Schreibtisch saß und den Hörer umklammerte. Seine Frau forderte nach vielen Jahren der Ehe für ihn vollkommen überraschend die Scheidung und er wusste nicht warum. Und während er aus allen Wolken fiel, merkte er, wie dringend er die Reißleine des Fallschirms ziehen und etwas an ihrer gemeinsamen Situation verändern wollte. Ich erlebe oft, dass solche Situationen wie Bomben einschlagen und danach ein echter Neubau möglich ist. Ein Überdenken der alten Muster und die Frage: Was will ich wirklich?

Doch warum erst jetzt? Es sind die Gewohnheiten, die unser Leben bestimmen. Wir sind zwar überzeugt, dass wir stets durchdachte Willensentscheidungen treffen, aber der Wille spielt oftmals gar keine so große Rolle, vielmehr unsere Biologie. Bas Verplanken, Professor für Sozialpsychologie, hat herausgefunden, dass 30 bis 50 % unseres täglichen Verhaltens durch Gewohnheiten bestimmt sind. [1] Und das ist grundsätzlich überlebenswichtig, wenn diese mit unseren Zielen übereinstimmen. Tun sie das nicht, rauben sie uns Zeit, Energie und schädigen im schlimmsten Fall sogar die Gesundheit.

Nur kann das Gehirn grundsätzlich nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten unterscheiden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Dirk jahrelang seine gewohnte Beziehung geführt hat und seine Komfortzone nicht verlassen wollte. Die Gewohnheiten haben ihn, und sie tun es bei uns allen durch das Leben begleitet. Das ist wichtig, denn ohne sie wäre unser Gehirn vom Alltag vollkommen überfordert. Stellen sie sich beispielsweise vor, sie müssten bei routinierten Handlungen wie dem Kaffee kochen, jedes Mal aufs Neue, überlegen, was genau zu tun ist, das wäre zeitraubend und ineffektiv.

Die Lösung unseres Gehirns hat aber auch eine Kehrseite, wie auch Dirk schmerzlich erfahren musste, denn die Beschränktheit der Wahrnehmungen macht starr. Es ist ein wissenschaftlich erwiesener Fakt, dass Menschen auf Informationen verzichten, um nicht Entscheidungen gegen ihre Gewohnheiten treffen zu müssen. [2] So auch Dirk. Er hat zum Teil unbewusst Informationen nicht wahrgenommen und ist in den tiefen Schmerz und die Verzweiflung geraten, dass seine Frau ihn verlassen will. In diesem Moment war er ganz unten. Er fühlte sich wie eine Marionette, deren Seile durchtrennt waren und die jetzt mit übereinandergeworfenen Gliedern auf dem Boden lag, unfähig, sich wieder aufzurichten. Doch hier genau entsteht jetzt der positive Wandel. Dirk wurde aus seiner Komfortzone geworfen, denn er lief nun nicht mehr automatisch wie eine vom Spieler bewegte Puppe und daher wird sich sein Leben verändern, so oder so. Er hat jetzt aber die Chance, diese Veränderung positiv zu führen und nicht das Leben weiter für ihn entscheiden zu lassen.

Die Änderung des Verhaltens

Ulrike hatte, bevor sie sich zum drastischen Schritt der Scheidung entschied, oft hoffnungsvoll versucht Dirk dazu zu bringen, mit ihr über eine Änderung ihrer Dynamik zu sprechen. Sie hat sanft versucht, mit ihm zu reden, ihn angeschrien, ihm einen Brief geschrieben und alles getan, was ihr einfiel, um die Mauer, die er um sich errichtet hat, endlich einzureißen. Herausgekommen war dabei nichts, außer dem Gefühl von ihm eigentlich nicht gesehen zu werden, dass sich immer tiefer in ihre Seele gegraben hat. Sie dachte, er hätte sie für selbstverständlich genommen. Doch sein jetziges Auftauchen aus dem Meer an Gewohnheit und sein verzweifelter Wunsch, sie nicht zu verlieren, löste in ihr das verschüttete Gefühl der Hoffnung aus und sie willigte ein, zu Versuchen in ihrer Beziehung die Kehrtwende zu schaffen.

Das hat zum Vorschein gebracht, warum Ulrike und Dirk als Unternehmerpaar so enorm erfolgreich sind, hier finden sie immer den Zipfel, an dem es hängt, dass das Unternehmen positiv gesteuert wird und immer weiter vorankommt. Ich erlebe es in den Beziehungswochenenden wie ein Neuaufbruch. Paare sammeln sich, werfen alten Ballast weg und richten sich neu aus. Sie aktivieren ihren Mut und treiben sich gegenseitig positiv an die Dinge im Alltag anders zu leben.  Sie lernen sich wieder zu sehen und mit Schwierigkeiten anders umzugehen.

Männerhände und Frauenhände halten ein Herz.
Der Partner kann wie ein Geburtshelfer der Veränderung sein. (Bild: syda_productions)

Das neugefundene Glück

Ulrikes Wunsch nach Scheidung war wie eine Zündschnur und die hat alle unterdrückten Stinkbomben zum Explodieren gebracht, die bislang von Dirk unbemerkt unter dem Sofa lagen. Auch Ulrike erkennt, dass sie Fehler gemacht hat. Sie hat nicht den richtigen Weg gefunden, wirklich mit Dirk zu reden. Ihn nicht in der Ecke abgeholt, in der er stand, sondern sich frustriert vor ihn gestellt und ihm ihre Vorwürfe präsentiert. Dabei hat sie nicht reflektiert, warum sie bestimmte Forderungen überhaupt stellte. Und nach und nach wurde sie dabei immer genervter, dann giftiger. Sie reagierte auf seine Mauer, indem sie sich Stacheln wachsen ließ und ihn so noch weiter zurücktrieb. Sie sah sich dabei jedoch ausschließlich in der Opferrolle. Als sie bei uns am Beziehungswochenende waren, habe ich mit ihr darüber von Frau zu Frau gesprochen. Ulrike weinte und zitterte am ganzen Körper, als sie erkannte, wie stark sie sich verhärtet hatte und wie wenig sie sich selbst noch leiden konnte. Doch es war wie eine Befreiung. Plötzlich hatte sie erkannt und konnte loslassen, ihr Kriegsspiel und auch ihre Härte.

Durch unsere Gewohnheiten sind wir oft in unserem Handlungsgedächtnis gefangen. [3] Verhaltensweisen, die sich einmal als hilfreich erwiesen haben, werden dort abgelegt und diese Muster werden immer wieder abgespult wie eine alte Platte. Dirk zum Beispiel hatte als Kind gelernt, das es reichte, erfolgreich zu sein, um die Zuneigung und Liebe seiner Eltern zu gewinnen. Im Zwischenmenschlichen jedoch hielt er sich stets raus und lernte, dass seine Mutter froh war, wenn er Konflikte nicht ansprach und genervt, wenn er es doch tat. Das ausweichende Verhalten hatte sich bei ihm als Erfolg so tief eingeprägt, dass er immer, wenn Ulrike über Probleme reden wollte, abblockte. Ulrike hatte schon früh das Handlungsmuster gelernt, sich durchzusetzen und wenn sie nicht bekam, was sie wollte, zu gehen. Doch niemand wollte den anderen vorsätzlich verletzten, dennoch taten sie es.

Die Schönheit der Beziehungsprobleme

Ulrike und Dirk stiegen zusammen als Paar aus dem Problem hervor, wie der Phönix aus der Asche. Sie half ihm, konstruktiv mit Konflikten umzugehen. Und er half ihr wieder weicher zu werden, sich neu zu finden und damit glücklicher mit sich selbst zu sein. Beide haben durch die Krise also enorm viel über sich gelernt und konnten endlich die mit schweren Ziegelsteinen gefüllten Rucksäcke ablegen, die sie so lange mit sich herumgeschleppt hatten. Das war ein Segen. Und jetzt, befreit von den alten Lasten, konnten sie als Team wieder an einem Strang ziehen und haben gespürt, wie viel Kraft in ihnen beiden steckt. Das Wochenende fühlte sich für beide an, als hätten wir mit ihnen die Pause Taste gedrückt, die Beziehungs-CD aus dem Laufwerk genommen, kurz poliert und neu eingelegt. Jetzt geht es um die Stabilität, Freude und Leichtigkeit im Alltag. Zum Glück haben sie mit uns einen richtig guten Plan dafür entwickelt.

In einem Nachgespräch zum Beziehungswochenende schmunzelte Dirk und meinte: „Eines der besten Dinge, die Ulrike tun konnte, war die Scheidung von mir zu verlangen!“ Er war rückblickend wirklich froh darüber, dass die Beziehungsprobleme ihn und Ulrike dazu zwangen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Jetzt lachten sie wieder viel mehr miteinander und bauten ihr Zuhause zu einem Ort der Wärme um. Und das meine ich wörtlich: Sie gestalteten ihr Haus als Symbol für ihre Beziehung neu. Schafften sich ein bequemeres Sofa an, um am Abend zu kuscheln. Kauften sich einen Billardtisch und schwangen die Queues, wie in der Zeit als sie sich kennenlernten. Und das sind nur ein paar Beispiele. Kurz gesagt: Sie übernahmen beide zu gleichen Teilen Verantwortung für ihre Beziehung und gestalteten sie neu! Und das ist nicht nur schön, das ist wahre Magie!

Nachdem die Krise zu einem Wegfall des Gewohnten geführt hatte, fand zwangsläufig eine Änderung des Verhaltens statt und Dirk und Ulrike fanden zurück in ihr Glück. Daher: Beziehungsprobleme bergen eine unerwartet große Chance. Aus ihnen heraus kann man als Paar wachsen und sich selbst und gegenseitig zutrauen, Probleme zu lösen. Eine Krise muss ein Paar nicht aufhalten, im Gegenteil, sie können gestärkt daraus hervorgehen und hinterher eine fröhliche, leichte und einzigartige Beziehung führen, denn sie wissen: Sie können wirklich durch Dick und Dünn gehen. Eine Krise birgt in meinen Augen vor allem eins: Die Chance auf Heilung!

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Beziehungsprobleme von allen Seiten betrachten können und auch die Chance darin sehen, um gestärkt und mit neuer Kraft und Freude die Beziehung zu kreieren, die sie glücklich durchs Leben gehen lässt.

Ihre Sandra Hornsteiner

Bild: jamesgroup
[1] https://www.researchgate.net/publication/270652767_The_Strength_of_Habit
[2] ebd.
[3] ebd.